Glocken St. Georg

1895 erhält die Hildesheimer Glockengießerei Radler u. Söhne in der Windmühlenstraße vom Kirchenvorstand Itzum den Auftrag, drei neue Bronzeglocken zu gießen. Die Legierung soll zu 77% aus reinem Blechkupfer und zu 23% aus ostindischem Banca-Zinn bestehen. Die Firma verpflichtet sich u.a. auf eine Probezeit von 12 Wochen, gewährt 5 Jahre Garantie und fertigt die Inschriften gratis an. Laut Lieferungsvertrag wird dem Kirchenvorstand gestattet, von den alten wie von den neuen Glocken ein Stück abzuschlagen, um chemisch prüfen sowie feststellen zu lassen, ob die Legierung vertragsgemäß erfolgt ist. Zu diesem Zweck bleibt an den Kronen der neuen Glocken ein Stück Metall stehen.

Am 23.9.1896 werden die neuen Glocken auf der Rathauswaage gewogen. Die große St. Georg-Glocke (es′) wiegt 861 kg. Zwei Abbildungen zieren die Flanke der Glocke: ein Kruzifix und auf der gegenüberliegenden Seite der Hl. Georg als Drachentöter in einem mandelförmigen Medaillon. Eine Inschrift (lateinisch) besagt: Wir beten dich an, Christus, weil du durch dein Kreuz die Welt erlöst hast. Heiliger Georg, schütze deine Itzumer.

Des Weiteren sind auf dieser Glocke (auf deutsch) „verewigt“: + B. THEELE, PFARRER. L. WISSEL, LEHRER. H. KAUNE, F. TÖNNIES, J. OSSENKOP, KIRCHENVORSTAND. H. KAUNE, GEMEINDEVORSTEHER. H. MEYER, BEIGEORDNETER. + GEGOSSSEN VON J.J. RADLER U. SOEHNE IN HILDESHEIM 1896.

Die mittlere Glocke (g′) mit einem Gewicht von 432 kg trägt (in Latein) die Inschrift: Bitte für uns, heilige Gottesmutter, Bitte für uns, heiliger Joseph, damit wir würdig werden der Verheißungen Christi. Als Verzierung ist eine Madonna auf einer Mondsichel zu erkennen und gegenüber der Hl. Joseph in einem mandelförmigen Medaillon mit der Umschrift SANCTUS IOSEPHUS. Darüber hinaus gibt es eine weitere wichtige Inschrift: + GESCHENKT ZUR EHRE GOTTES VON MITGLIEDERN DER GEMEINDE ITZUM sowie den Hinweis auf die Glockengießerei.

Diese Schenkung führt aufgrund einer Anzeige zu einem Streit zwischen Kirchenvorstand und Gemeindevertretung einerseits und dem Regierungspräsidenten in Hildesheim sowie dem Landrat des Kreises Hildesheim-Marienburg andererseits, in den auch das Generalvikariat Hildesheim involviert ist. Der Regierungspräsident hebt am 28.11.1896 die Beschlüsse (Schenkung der neuen Glocken gegen Überlassen der alten Glocken zum Einschmelzen) des Kirchenvorstands und der Gemeindevertretung auf, weil die Betroffenen an der Abstimmung teilgenommen haben und die alten Glocken zudem wegen eines evtl. Kunstwerts ohne staatliche Genehmigung nicht an private Empfänger vergeben werden dürfen.

Erst im Juni 1897 ist der Streit im Sinne des Kirchenvorstands beigelegt.

Im eisernen Glockenstuhl über den nebeneinander hängenden großen Glocken ist die dritte Glocke mit dem Schlagton b′ und einem Gewicht von 250 kg angebracht. Sie trägt die Inschrift (lateinisch): Heiliger Bernward, halte Krankheiten und (schwere) Schläge von uns fern. Heiliger Godehard, hilf uns in der Stunde des Todes. - Diese Glocke hat ihren Platz bis heute nicht verlassen! Die Kosten für die neuen Glocken betragen 3.519,40 Mark, der schmiedeeiserne Glockenstuhl kostet 822 Mark. Für die drei alten Glocken werden 834,60 Mark verrechnet. Dommusikdirektor Prof. Nick bescheinigt am 29.9.1896, „dass das Geläute wohlklingend ist und die Glocken die Töne Es, G und B haben“.

Im Pfarrarchiv stutzt der Leser zunächst vielleicht über den Vermerk, wonach der Bischof am 2.10.1896 dem Pfarrer Theele die Vollmacht erteilt, die Glocken mit dem zuvor vom Bischof geweihten Wasser zu weihen. Vermutlich hatte der Bischof keine Zeit zur Glockenweihe zu kommen. Den Zusammenhang verdeutlicht jedoch eine weitere Inschrift auf der Georgsglocke. Unter dem Kruzifix ist eingeritzt: GEWIDMET DER KIRCHE IN ITZUM ZUM ANDENKEN AN DAS 25JÄHRIGE BISCHOFS- U. 50JÄHRIGE PRIESTERJUBILÄUM SR. BISCHÖFLICHEN GNADEN DES HOCHWÜRDIGSTEN HERRN BISCHOFS WILHELM VON HILDESHEIM, AM 24. SEPT. 1896. Diese Inschrift dokumentiert einen historischen Wert der Glocken (so der Provinzialkonservator Sieben in seinem Gutachten vom 27. April 1917) und verhindert neben weiteren Gutachten (Maurermeister, Kunstwart der Diözese), dass die Glocken noch 1917 während des Ersten Weltkriegs zum Einschmelzen abgenommen werden müssen. Mit Schreiben vom 1. Juni 1917 zeigte sich die „Metall-Mobilmachungsstelle (Kriegsministerium-Kriegsamt-Kriegsrohstoff-Abteilung)“ mit der vorläufigen Zurückstellung der 3 Glocken wegen ihres historischen und musikalischen Werts einverstanden.

Das jedoch gelang 25 Jahre später so nicht mehr. Nachdem die Glocken 1940 in die Gruppe B eingruppiert worden waren (A sofort zur Verhüttung, B+C einstweilen in Sammellager, D an Ort und Stelle erhalten), mussten die beiden größeren Glocken, die die Nummern Nr. 5/43/85/B und 5/43/86/B bekamen, am 10. u. 11 März 1942 herabgelassen werden. Unter reger Beteiligung der Itzumer wurden die von Kindern mit Tannengrün geschmückten Glocken zunächst zur Gasanstalt in Hildesheim gebracht und von dort weiter befördert. Nur die kleine Glocke durfte zum Halb- und Vollschlag der Kirchturmuhr bleiben.

Über den Verbleib der Glocken herrschte Ungewissheit. Erst im April 1946 gibt es eine Mitteilung der Zinnwerke Hamburg-Wilhelmsburg, dass Glocken mit den o.g. Nummern an zwei verschiedenen Stellen in Wilhelmsburg lagern. Einen Monat später erfolgt eine Mitteilung des Bischöflichen Generalvikariats Hildesheim über die Lagerung mehrerer Glocken (u.a. von Sottrum, von Hi-Mauritius, von Itzum) in Wilhelmsburg. Große Freude herrscht in Itzum, als der Propst von Braunschweig am 17.6.1947 mitteilt, dass die Glocken im Braunschweiger Hafen lagern. Nach sofortigem Beschluss des Kirchenvorstands werden die Itzumer Glocken am 19.6.1947 von Braunschweig geholt – und am Freitag, 27.6.1947 hängen die Glocken wieder im Turm – noch aber ohne Klöppel, die extra abgegeben werden mussten und nicht auffindbar sind. Die Anfertigung geeigneter neuer Klöppel erweist sich als nicht einfach und führt wegen des unbefriedigenden Klangs zu Unstimmigkeiten. Erst Mitte 1948 ist die Klöppelangelegenheit zufriedenstellend gelöst. Bis Ende 1958 wurden die Glocken noch von Hand geläutet. Dazu mussten werktags die Messdiener vor der ersten Frühmesse (6.15 Uhr) – mit Taschenlampen bewaffnet – in den Glockenturm bis zum Uhrwerk hochsteigen, wo die Stricke für die Glocken hingen. Vor dem (pünktlichen!!) Läuten mussten auch die Gewichte für das Uhrwerk mit Hilfe einer Kurbel durch die Decke hochgezogen werden. Dabei kam es dann auch mal vor, wie Tatzeugen berichten, dass mit einer Umdrehung zu viel das Seil aus der Rolle fiel – und die Uhr stehen blieb. Das gab Ärger! Auf Geheiß des Lehrers, der die Aufsicht hatte, „durften“ die Betroffenen nach Schulschluss mit viel Mühe die Gewichte wieder einhängen. Nebenbei bemerkt blieb bei all diesen Tätigkeiten im Kirchturm bisweilen noch so viel Zeit übrig, um dort gelegentlich Schularbeiten zu machen bzw. abzuschreiben.

Mit all dem war es dann jedoch vorbei, als Ende 1958 eine „elektromotorische Glockenläuteanlage“ für die drei Glocken eingebaut wurde. Inzwischen technisch verfeinert mit entsprechender Programmierung wecken die Glocken morgens manche Itzumer auf oder künden wie an Ostern von der Auferstehung Christi.

Nikolaus Winkler (Quellen: Pfarrarchiv; Philipp, Andreas, Glockenkartei des Bistums Hildesheim, Kath. Filialkirche St. Georg, 2011;)